Anonymität kontra Auskunftspflicht - Wie weit darf Meinungsäußerung im Internet gehen?

  • Bereits gestern wurde mitgeteilt, dass ein finales Urteil im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof erst am 1. Juli zu erwarten sein wird. Trotzdem wirft diese Verhandlung einmal mehr Fragen auf und es wird diskutiert, wie weit Anonymität im Internet gehen darf?


    Auslöser dieser Debatte war die Klage eines Arztes aus Schwäbisch Gmünd, der den Namen und die Adresse eines Nutzers verlangte, der beim Internet-Bewertungsportal "Sanego" laut Urteil der Vorinstanz falsche Tatsachen verbreitet hat.


    Grundsätzlich bestimmt das Telemediengesetz von 2007, dass Anbieter von Internetdiensten die Nutzung "anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen" haben, "soweit dies technisch möglich und zumutbar ist" (Telemediengesetz, §13 Abschnitt 4). Dieser Passus sollte die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Redefreiheit (Artikel 5) untermauern, um die freie Meinungsäußerung all derer zu erlauben, die ansonsten z.B. persönliche Nachteile oder andere negative Folgen befürchten müssten (Angehörige von Minderheiten, Kranke bzw. Verbrechensopfer).


    Zugleich sieht das TMG bei Strafermittlungen oder zur polizeilichen Gegenabwehr Ausnahmen vor, so dass unter bestimmten Umständen Auskünfte über Nutzer erteilt werden dürfen, gar müssen.


    Des Weiteren schützt das Recht auf Meinungsfreiheit keine falschen Tatsachenbehauptungen und endet bei Schmähkritik bzw. Beleidigung. In solchen Fällen können Betroffene eine zivilrechtliche Unterlassungsklage einreichen, mit der ein Gericht z.B. einen Internet-Anbieter verpflichten kann, ehrverletzende Aussagen zu löschen. Optional gibt es natürlich auch die Strafanzeige gegen unbekannt.




    Soweit also einmal die rechtliche Lage und der Ausgangspunkt für dieses Revisionsverfahren.




    Tatsache ist und das dürfte vermutlich jeder Internetnutzer und auch Forenbesitzer wissen, dass Bewertungen sowohl immer subjektiv sind als auch die potenzielle Gefahr von Missbrauch stets vorhanden ist. Unter dem Deckmantel der vermeintlichen freien Meinungsäußerung kann also allerlei reale Schmähung subsummiert werden und dass das nicht immer harmlos und ohne Folgen bleiben muss, ist klar.


    Je nach Urteil wird dann klar werden, was Internet-Anbieter zukünftig tun müssen, ob das Telemediengesetz einen Zusatz erhält bzw. wie es um die vermeintliche Anonymität im www bestellt sein wird.



    Was denkt ihr über das Verfahren, das Problem hinter der Klage bzw. wie seht ihr die Anonymität im www, etwaige Probleme und welches Urteil würdet ihr selber begrüßen bzw. euch nicht erhoffen?

    • Teambeitrag

    Hi,


    Meinungsfreiheit hin oder her, aber ich finde in solchen Fällen der Verbreitung von falschen Tatsachen sollte auch im Internet die Möglichkeit bestehen, an die Daten zu kommen. Aber im Zuge der Anzeige!


    Man darf da ja nicht vergessen, dass falsche Tatsachenbehauptungen, falsche Kritik oder Beleidigungen finanzielle Einbußen bedeuten können und warum sollte das im Internet (wo dazu solche Aussagen ja doch noch fester verankert sind) dann gänzlich ohne Probleme erlaubt sein?


    Natürlich bekräftige ich hier nochmal, dass solche Daten nicht einfach per Anfrage raus gegeben werden, sondern wirklich erst im Zuge einer Ermittlung.


    Mfg Cr@@gle

  • So wie es bei Herausgabe der Anschlussdaten bei IP-Adressen schon der Fall ist. Da wird ja auch nur auf Verlangen der Polizei/Staatsanwaltschaft Auskunft über die Daten hinter der IP Auskunft erteilt.


    Schlussendlich find ich das gut, dass jetzt auch bei sowas durchgegriffen wird, denn auf vielen Portalen wird mit falschen Meinungen Schindluder getrieben.

  • Der Knackpunkt wird ja auch sein klar zu definieren, was ist noch eine erlaubte Meinung - auch negativer Art - und was ist tatsächlich Rufschädigung, Verleumdung, Lüge usw.


    Beispiel:
    Wenn ich jetzt hier im cls schreiben würde: "Cr@@gle und mysteryX sind zwei absolut nicht hilfsbereite Forenmitglieder, die mich mobben und hassen."


    Was ist das dann?


    A: Mein subjektives Empfinden, das ich eventuell begründen könnte, indem ich z.B. PNs oder Threads aufliste, die angeblich zeigen, dass ihr mich mobbt und hasst. (Das würde aber voraussetzen, dass ich nicht bösartig bin und euch nicht "eins reinwürgen" möchte).


    B: Subtile Rufschädigung. (Da wäre die Frage, ob ich das aber bewusst so formuliert habe und euch schädigen will oder nicht, ihr müsstet also den Nachweis erbringen als Kläger - das dürfte schwierig werden, oder?)


    C: Falschaussage. (Auch hier haben wir eben im deutschen Rechtssystem das "Problem", dass der Kläger die Begründung liefern müsste. Faktisch ist das aber schwer zu bewerkstelligen.)




    Und dann gehen wir einen Schritt weiter, ich würde wörtlich schreiben: "Das cls-design beherbergt Mobber und Hasser, wie z.B. Cr@@gle und myteryx."



    Faktisch seid ihr Mitglieder im Forum und ich könnte es als mein subjektives Empfinden inklusive meiner Meinung deklarieren - würdet ihr nun klagen und argumentieren, ich betreibe Rufschädigung an euch und dem Forum?





    Das waren jetzt nur simple und fiktive Beispiele und sicherlich finden sich im www weitaus schlimmere Fälle, aber seht ihr, worauf ich hinaus möchte?


    Für mich ist es also ein recht rutschiger Boden, auf dem verhandelt wird, denn gehen wir von hier aus weiter zu einem anderen Szenario, dem Urteil. Nehmen wir an, das Urteil endet damit, dass fortan jeder das Recht hat nicht nur á la Google bestimmte Inhalte löschen zu lassen, sondern zu erfahren, wer hinter "Bienchen1234" steckt.



    1. Es müsste zuerst einmal schon sehr genau definiert werden, was noch als subjektive und kritische Meinung erlaubt ist und was nicht. Ich denke fast, das kann zu vielen Einzelklagen führen, denn wird wirklich jeder Betreiber manuell nachprüfen und entscheiden können, welche Partei Recht hat?


    2. Gäbe es nun das Recht zu erfahren, wer die Person hinter dem Pseudonym "Bienchen 1234" ist, welche eine kritische Rückmeldung in einem Portal schrieb, - was passiert dann vielleicht? Entweder es gibt direkt eine Anzeige inklsuive Unterlassung oder....? Was wäre nun also, wenn wiederum ihr beide wegen meiner Äußerung so wütend wärt, dass ihr Kontakt mit mir aufnehmt , mich z.B. anruft, beschimpft oder gar denkt "Die knöpfe ich mir nun mal direkt vor!"?
    Sicher, ihr werdet nun wahrscheinlich schmunzeln, aber es gibt Leute, die das weniger sachlich sehen, können wir also davon ausgehen, das Offenlegungen ohne unterschiedliche Folgen bleiben?


    3. Welche Wirkung hätte so ein Urteil auf Verfasser, die kritisch ihre Meinung äußern wollen, ohne rufschädigend zu sein? Beispiel: Ich war im Urlaub und das Hotel war nachweislich schlecht, ich schreibe das also sogar inklsuive "Beweisbildern" auf. Durch das Urteil würde ich mir nun sicher überlegen, was ich poste und was nicht, weil ich befürchten müsste, es könnte eine Klage eintrudeln.







    Ich bin völlig bei euch im Kern, dass es nicht sein kann und darf, dass Lügen, Schmähungen usw. im www ungeprüft überdauern können und es scheint, als müsse alles toleriert werden, Stichwort offenes www und Deckmantel Meinungsfreiheit. Nur, in der Praxis sehe ich nicht, wie das ohne Einzelprüfungen einer neutralen Stelle überprüft und beurteilt werden soll, wie haarscharf dann differenziert werden muss und welche Folgen das haben kann. Werden wir dann im extremsten Fall nur noch positive Inhalte vorfinden, weil sich keiner mehr traut kritisch zu sein?



    Anonymität im positiven Sinne hat ihre Berechtigung und bei Straftaten gibt es kein Pardon, da müssen die jeweiligen Daten übergeben werden, aber kann man wirklich Kritik mit Straftaten gleichsetzen? Gewagt, wie ich finde, Persönlichkeitsrechte und ihre Schmähung sind oft subjektiv unterschiedlich, ich bin mir nicht sicher, ob ich mir da ein Urteil erlauben würde....

  • Am 1.7 ist ja bereits das Urteil des BGH zum "Sanego"-Fall gesprochen wurden und da wir hier auch darüber sprachen, füge ich vollständigkeitshalber das Urteil bei:


    Der BGH urteilte also, dass der Betreiber eines Internetportales die Daten eines anonymen Nutzers nicht weitergeben darf bzw. muss.


    Im Kern beruft sich das Urteil auf das Telemediengesetz, demnach die Nutzeranonymität nur in wenigen Fällen aufgehoben werden darf. Der Vorsitzende Richter merkte an, dass der Schutz der Persönlichkeitsrechte nicht genannt ist, es fehle jedoch die "Ermächtigungsgrundlage". Das heißt, dass der Betreiber eines Internetportales Daten ohne ausdrückliche Genehmigung seitens des anonymen Nutzers keine Daten weitergeben/veröffentlichen darf. (Die vollständige Begründung kann hier eingesehen werden: http://juris.bundesgerichtshof…14&nr=68159&pos=0&anz=102).


    Zugleich ist das auch die Entscheidung dafür, dass eine solche Datenherausgabe nicht auf zivilrechtlichem Wege bewerkstelligt werden kann, jedoch besteht die Option, strafrechtlich zu ermitteln und dann die Daten zu bekommen.





    Was heißt das nun...


    1. Die Anonymität im Netz bleibt nicht nur bestehen, sondern wurde durch das Urteil rechtlich gestärkt.


    2. Zugleich ist das kein Freibrief für Schmähungen, Lügen&Co., denn es bleibt die Möglichkeit strafrechtlich zu klagen.





    Bleibt zu fragen, wer ist nun der Sieger?



    Anonyme "Trolle", die sich nun hinter dem Urteil verstecken werden?


    Anwälte, die sich nun auf strafrechtliche Klagen vieler Mandaten freuen können, die so gegen diffamierende Äußerungen vorgehen werden?