Ich habe die sozialen Netzwerke aus der Entfernung verfolgt, hatte selber aber nie das Interesse, mich anzumelden und aktiv zu sein. Wenn überhaupt, hätte mich rein analytisch interessiert, was Leute dort tun, wie es funktioniert, wie ein Beitrag eine Eigendynamik erhalten kann usw. Nur, dann hätte ich das Gefühl wie eine Art Soziologin das Verhalten Dritter zu beobachten, Schlüsse zu ziehen und das ohne das Wissen dieser Dritten.
Subjektiv gesprochen gab es für mich mehr Gegengründe oder eben keine Gründe so einem Netzwerk beizutreten und ich finde es enorm, wie Leute tatsächlich 2 Stunden plus X täglich neben allen anderen Arbeiten, Tätigkeiten und Hobbies auf so einer Plattform zubringen können.
Vermutlich passe ich schon von meiner Biografie her nicht in das Muster des typischen "Foris", Bloggers und auch Benutzers von sozialen Netzwerken, so dass mir der Hype um besonders Facebook eher suspekt war/ist. Eine Art Kollektivzwang habe ich noch nie verspürt und würden meine Freunde und Kollegen plötzlich in die virtuelle Welt driften, würde ich mich eher motiviert sehen zu fragen, ob es andere Gründe für so ein Verhalten gibt. Mit Ausnahme von ICQ, das wir zum Plaudern zwischendurch nutzen, um schnell etwas zu klären oder eine Verabredung zu treffen, nutzen einige meiner Freunde bspw. Facebook, Google+ oder Xing, aber das alles eher funktional, weniger emotional. Das heißt, sie nutzen das aus beruflicher Hinsicht, um mit Geschwistern/Freunden/Kollegen im Ausland den Kontakt zu halten, aber keiner sieht es als virtuelle Zweitwohnung an oder postet allzu private Dinge.
Ich würde ein Netzwerk nie grundsätzlich verteufeln, denn z.B. ein Marc Zuckerberg hatte lediglich eine Idee, war zu richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Riecher, aber er wird nicht ermessen haben, was aus der Idee wird und am Ende sind es immer die Menschen, die eine Idee weiterformen oder auch verformen. Also beginnt und endet es unterm Strich mit dem Menschen.
Und genau an dieser Stelle kann man dann zu den Diskussionen rund um das Internet, sozialen Netzwerken und den Folgen übergehen. Ich denke, ihr habt die Auseinandersetzung mit z.B. Manfred Spitzer's "Digitaler Demenz" und jüngst Susan Greenfield's Thesen zum kindlichen Anpassungsverhalten innerhalb der virtuellen Welt verfolgt?
Spitzer's Werk muss man natürlich im Gesamtkontext sehen und nicht auf die Schlagworte reduzieren bzw. das, was in den Medien daraus gemacht wurde. Dass er mit seinen Thesen genau die Ängste bei den Menschen schürt, die dem Internet, Smartphones&Co. skeptisch gegenüberstehen, war sicher gewollt und da muss man kritisch nachhaken, aber ist es wirklich - wie Gegener lauthals schrien - gänzlich von der Hand zu weisen, dass Vereinsamung, Realitätsflucht, kognitive Reduktion, Oberflächlichkeit und fehlende Orientierung nicht zumindest durch das www. begünstigt werden? Nicht unbedingt bei einem von euch, aber als zumindest vorstellbares und teils sichtbares Phänomen bei anderen Leuten?
Susan Greenfield wiederum äußerte vor 3 Tagen die Bedenken, dass durch Facebook unser Gehirn verändert wird. Durch das Lesen und Verfolgen des vermeintlich tollen Lebens Dritter, fühle sich der Nutzer genötigt auch so toll zu sein, passe sich in der Folge dem Kollektiv an. Statt Individualisierung käme es zur Simplifizierung und Kollektivierung. Das Leben fände virtuell statt und weil die Meinung bzw. das Denken durch Dritte stattfinden (an denen man sich orientiert), würde das Gehirn eine kindliche Rückbildung durchleben. Verhalten und Sprache würden sich einem Muster anpassen und nicht mehr die reale Person widerspiegeln.
Wenn man das als Ausgangspunkt nimmt, käme es direkt zu einem Paradoxon: Jeder Mensch möchte als Individuum wahrgenommen werden und würde sich lauthals dagegen verwahren, kindlich zu agieren und sich anzupassen, aber genau das passiert virtuell. Das angepasste virtuelle Ich ist eine ganz andere identität als die reale Person, überspitzt gibt es dann nur noch gleich agierende Gemeinschaftsmenschen. Ob es dann Bärchen100, Knut123 ist, ist egal, sie alle folgen einem System, sind somit austauschbar, berechenbar und merken das vielleicht nicht einmal?